Wenn wir selbst schon immer mal wieder das Gefühl haben „querbeet ist ein ganz schönes Abenteuer!“, so wurde dieses Gefühl durch den Strohbautag, der am 6. Mai in Lüneburg stattfand, nur noch verstärkt. Hier trafen sich die Pioniere der Branche, stellten fest, dass Standards an vielen Stellen bisher fehlen, tauschten sich über Projekte mit Strahlkraft in ganz Europa aus und gaben die klare Empfehlung „einfach mal machen!“. Und dabei immer wieder der Blick auf unsere Baustelle – als eines der Leuchtturmprojekte und als aktuell größte strohgedämmte Wohnanlage Deutschlands. In guter Nachbarschaft, denn in Lüneburg entsteht mit dem Hortanbau der Anne-Frank-Schule das größte öffentliche Gebäude mit Strohbaudämmung in Deutschland. So viele Superlative – und wir sind mit dabei!
Während ein Teil unserer Baugemeinschaft am Samstag, 06.05.23, beim Aufbau des Stadtteilfestes im Hanseviertel half, besuchten Eva und Stefan, stellvertretend für querbeet, die Deutsche Strohbautagung des fasba-Verbands (Fachverband Strohballenbau Deutschland). Wie passend, dass die Tagung dieses Jahr an der Leuphana Uni in Lüneburg stattfand. Der Vormittag war gespickt mit jeder Menge Informationen: Da ging es um Forderungen, u.a. von Architects for Future, für eine Bauwende: Wie kann Bestand saniert und langfristig genutzt werden, wenn die meisten Fachkräfte im Neubau gebunden sind? Wenn (neu) gebaut wird, dann aber bitte nicht am Bedarf vorbei!
Bauen am Bedarf vorbei ist alles andere als nachhaltig. Es geht auch darum, gemeinsam Flächen zu nutzen, statt immer mehr Fläche pro Kopf zu beanspruchen.
Prof. Adrian Nägel, Architects for Future
Deutlich wurde auch: Eine sozial-ökologische Bauweise ist mehr als nachwachsende Rohstoffe. Die Zutaten für die sozial-ökologische Bauwende: Stroh, Lehm, Holz, gemeinschaftliches Wohnen – so schlägt es Julia Verlinden, Mitglied im Deutschen Bundestag für Bündnis90/Die Grünen und Umweltwissenschaftlerin, in ihrem Grußwort vor. Wie nun sieht tatsächliches nachhaltiges Bauen aus? Das Qualitätssiegel Nachhaltiges Gebäude (QNG) ist ein erster Ansatz für die Bewertung der Nachhaltigkeit beim Bauen. Unser Architekt Dirk Scharmer stellte das Siegel und seine Kriterien vor.
„Es ist noch viel zu tun“ hörte man immer wieder: u.a. auch beim Thema Brandschutz (übrigens auch eines der Themen, die uns als querbeet viele Nerven kosteten). So dürfen in Niedersachsen bspw. keine brennbaren Fassaden gebaut werden – auch wenn Expert*innen etwas anderes raten. Während die Holzbaurichtlinie 2022 in Niedersachsen noch nicht eingeführt ist, erscheint bald schon die Holzbaurichtlinie 2023. Schade, dass die Politik, die die Tagung eröffnete, bei diesem Fachvortrag nicht mehr mit dabei war, zeigte sich doch unsere Landwirtschaftsministerin Miriam Staudte ganz begeistert von Stroh als Material, das sowohl als Baustoff als auch als Nahrungsmittel fungiert, ohne dass das eine das andere ausschließt. Die Landwirt*innen als Baustoffproduzent*innen der Zukunft. Hoffen wir, dass die Politik dem Beispiel der Strohbauer*innen folgt. Miriam Staudte beschrieb die Strohbauer*innen als Pioniere der Branche, die bereit sind, ins Risiko zu gehen, um anderen zu zeigen, dass es klappt. Und auch Julia Verlinden dankte in ihrem Grußwort den Pioniergeistern.
Unsere Baustelle ist auch in Sachen Schallschutz Pionierarbeit. Denn bisher gibt es erst wenige Messungen zu Schallschutz im Strohbau. Die Materialeigenschaften von Stroh, die für klassische Baustoffe bereits vorliegen, sind noch Forschungsgegenstand. Daher hat Stroh noch keine bauaufsichtliche Zulassung. Wie gut zu hören, dass unser Schallschutz trotzdem ausreichend ist! Immerhin findet Schall, so lernten wir von Michael Oehlerking, Geschäftsführer der AMT Ingenieurgesellschaft aus Isernhagen, bei der Strohbautagung, 13 Wege, um ins Nachbarzimmer zu gelangen. Nach unserem Einzug wird sich zeigen, wie viel errechnete Werte mit der Realität zu tun haben 🙂 Denn, so AMT weiter, gesund zu leben hat eben auch mit Lärm bzw. dessen Vermeidung zu tun.
Ja, Lüneburg ist eine der Vorreiter in Sachen Strohbau in Deutschland. Nein, Lüneburg ist damit nicht allein. Das zeigen Beispiele aus Frankreich – hier steht bspw. ein Sozialwohnungsbau einer Wohnungsgenossenschaft in Stohbauweise mit 7 Stockwerken – und eine Strohbausiedlung in der Schweiz. Die Bauweise mit Holzständerbau, Strohbaudämmung und Lehmputz ist nicht die einzige Möglichkeit, wie Strohbau aussehen kann. Das verdeutlichte Florian Hoppe, der den lasttragenden Strohballenbau und aktuelle Forschungsprojekte dazu präsentierte. Wer mehr dazu wissen will: Am 11./12. September findet in Weimar die Strohballenbautagung statt. Diese Bauweise ging der Bauweise, wie sie bei querbeet umgesetzt wird, nämlich „ausfachend“, voraus.
Nach den kurzweiligen und dennoch lehrreichen Kurzvorträgen standen dann die Planer*innen, Bauherr*innen und Ausführende der drei Lüneburger strohballengedämmten Gebäude Rede und Antwort. Stellvertretend für querbeet war Eva mit dabei. Auch hier zeigte sich, wie wertvoll die Vernetzung untereinander ist. So konnten und können wir als querbeet so manches vom Speicherbogen lernen. Und Benedikt & René sammelten positive Erfahrungen bei querbeet, sodass sie sich dann bei der Stadt an der Ausschreibung zum Hortanbau beteiligten. Beim ersten Schulbau deutschlandweit in der Bauweise sind die meisten Strohbauer*innen von unserer Baustelle wieder mit dabei! Wie formulierte es die Baudezernentin so treffend: „Das soll Schule machen!“. Alle Teilnehmenden an den Austauschrunden waren sich einig:
Das Gelingen hängt davon ab, ob das Zusammenspiel der Beteiligten funktioniert.
Stohbautag 2023, Leuphana
Dass es funktionieren kann, zeigten die Exkursionen am Nachmittag: Hier ging’s in drei Gruppen – begleitet von Dirk als Architekt, Robin als Bauingenieur und Adrian als Bauleiter – zum Speicherbogen und zur querbeet-Baustelle. Tolle Gespräche, großes Interesse, eine extrem hohe fachliche Tiefe und viel Raum für Austausch – so lässt sich der Nachmittag wohl am besten beschreiben. Schön, dass ihr zu Gast auf unserer Baustelle wart!
Und was ist nun mit Aufzügen als Beitrag zum Klimaschutz? Die nutzt Prof. Dr. Michael Braungart, Nachhaltigkeitspionier, um zu verdeutlichen, dass vielmehr darauf abgezielt werden sollte, klimapositiv zu sein statt „nur“ klimaneutral – das heißt, wir als Menschen sollten nützlich sein, nicht nur weniger schädlich. Würden wir nur noch Aufzug fahren statt Treppe zu laufen, verschlechtert das unseren Gesundheitszustand … wir sterben schneller und belasten die Umwelt weniger lange. Also lasst uns lieber schauen, wo wir einen nützlichen Beitrag leisten können!